„Wir bauen das virtuelle Kraftwerk“: Markus Baumann von AURIVOLT zur Netzstabilisierung

20.08.2025

Markus Baumann. Foto: © privat/Xing

Ein kleines Büro in Bad Oeynhausen, an der Wand hängt eine Skizze mit Kästchen und Verbindungslinien. Wer länger hinsieht, erkennt, dass es sich nicht um ein klassisches Stromnetz handelt, sondern um ein Netz aus vielen einzelnen Speichern, die digital zusammengeführt werden. Markus Baumann, Gründer von AURIVOLT, spricht mit einer Selbstverständlichkeit davon, als sei die Idee längst Realität. „Wir bauen das virtuelle Kraftwerk“, sagt er. Damit meint er eine neue Form der Netzstabilisierung, die auf Dezentralität und digitale Steuerung setzt. Wir haben mit ihm über Chancen, Grenzen und die Rolle von Investoren gesprochen und auch darüber, warum er glaubt, dass große Speicherparks nicht die Lösung sind.

Herr Baumann, in Deutschland wird viel über Energiespeicher gesprochen. Warum braucht es Ihr Modell überhaupt, wenn es doch schon zahlreiche Großprojekte gibt?

Markus Baumann: Ohne große Batteriespeicher geht es kaum, keine Frage. Aber der Bau ist immer von Genehmigungen abhängig, die Jahre dauern. Dazu ist es nicht überall einfach, passende Einspesepunkte zu finden. Das Stromnetz braucht flexible Lösungen, die nicht irgendwann, sondern sofort wirken. Unsere Idee war deshalb: Wir installieren viele kleinere Batterien dort, wo sie gebraucht werden, und vernetzen sie digital. Zusammen bilden sie ein virtuelles Kraftwerk. Das ist schneller und näher an den tatsächlichen Engpässen.

Ein virtuelles Kraftwerk klingt nach einer eleganten Lösung. Aber was passiert, wenn die Steuerung ausfällt? Ist das nicht ein enormes Risiko?

Baumann: Jede Technik hat Risiken. Deshalb ist Redundanz entscheidend. Fällt ein Speicher oder eine Steuerungseinheit aus, fällt dies in einem großen Speichernetzwerk nicht weiter ins Gewicht. Genau das ist der Vorteil eines Schwarms: Es ist kein zentraler Block, der bei Ausfall alles lahmlegt, sondern ein Netz vieler kleiner Bausteine. Wir arbeiten mit mehrstufigen Sicherungssystemen, sodass Ausfälle nicht zu Instabilität führen.

Sie beschreiben das System wie einen Schwarm. Aber Schwärme sind unberechenbar. Wie stellen Sie sicher, dass Ihr virtuelles Kraftwerk nicht chaotisch agiert?

Baumann: Schwärme in der Natur sind hochorganisiert, auch wenn es von außen chaotisch wirkt. Unsere Speicher reagieren nicht willkürlich, sondern auf klare Steuerbefehle. Wir haben Algorithmen, die in Echtzeit berechnen, ob Energie aufgenommen oder abgegeben werden soll. Das ist keine Schwarmromantik, sondern präzise Netztechnik.

Viele Bürger haben wenig Vertrauen in neue Energieprojekte, sei es wegen Kosten, Intransparenz oder Landschaftseingriffen. Wie wollen Sie dieses Vertrauen gewinnen?

Baumann: Indem wir die Hürden klein halten. Wir bauen keine großen Parks, die Landschaft verbrauchen, sondern arbeiten modular. Die Speicher stehen oft in Gewerbegebieten oder an Netzknotenpunkten, wo sie kaum auffallen. Außerdem machen wir unsere Finanzierungsmodelle transparent. Investoren wissen genau, in welche Anlagen ihr Geld fließt. Vertrauen entsteht nicht durch Versprechen, sondern durch sichtbare Ergebnisse.

Trotzdem: Speicher gelten als teuer. Können viele kleine Batterien überhaupt wirtschaftlich konkurrieren?

Baumann: Die Kostenfrage ist zentral. Batterien sind in den letzten Jahren deutlich günstiger geworden, und der Trend setzt sich fort. Dazu kommt: Negative Strompreise sind keine Seltenheit mehr. Speicher können hier Geld verdienen, indem sie Strom aufnehmen, wenn er im Überfluss da ist, und ihn einspeisen, wenn er gebraucht wird. Wirtschaftlichkeit bedeutet also nicht nur, billig einzukaufen, sondern klug am Markt zu agieren.

Wo liegt der wirtschaftliche Anreiz für Ihre Geschäftspartner?

Baumann: Es gibt zwei Dimensionen. Zum einen der Energiemarkt: Durch die zunehmende Zahl negativer Strompreise ist es möglich, Energie günstig einzukaufen und bei Bedarf wieder zu verkaufen. Zum anderen die Systemdienstleistung: Netzbetreiber sind bereit, für stabile Leistung zu bezahlen. Wer unsere Speicher nutzt, profitiert also doppelt – ökonomisch und durch Versorgungssicherheit.

Viele Projekte scheitern nicht an der Technik, sondern an der Regulierung. Spüren Sie diese Hürde?

Baumann: Bei Großprojekten trifft dies absolut zu. Genau dort sehen wir unsere Chance. Unsere kleinen Speichereinheiten stehen auf Gewerbegrundstücken und sind genehmigungsfrei. Dadurch können wir unsere Batteriespeicher bauen, während Grußprojekte noch lange auf ihre Genehmigungen warten.

Wie reagieren Netzbetreiber und Stadtwerke auf Ihr Konzept?

Baumann: Anfangs gab es Skepsis. Viele sind in den gewohnten Strukturen verhaftet. Aber inzwischen sehen wir, dass das Interesse stark wächst. Immer mehr Netzbetreiber erkennen, dass sie ohne dezentrale Lösungen ihre Stabilitätsprobleme nicht lösen können. Fachmedien wie Handelsblatt oder pv-magazine greifen das Thema Schwarmspeicher inzwischen regelmäßig auf – das zeigt, dass wir nicht mehr als exotische Nische wahrgenommen werden.

Ihr Modell klingt nach einer Antwort auf aktuelle Engpässe. Aber wie skalierbar ist es wirklich?

Baumann: Sehr skalierbar. Jede Einheit ist eigenständig, aber alle zusammen ergeben ein flexibles Netz. Wir können mit einem Standort beginnen und nach Bedarf weitere hinzufügen. Theoretisch könnte bei etwa 70% aller deutschen Unternehmen unsere Schwarmspeicher installiert werden und so das Stromnetz stabilisieren.

Wie weit kann Ihr Modell tragen? Könnte man damit tatsächlich ganze Regionen versorgen?

Baumann: Ein Schwarmspeicher ersetzt kein konventionelles Kraftwerk eins zu eins. Aber er kann die Lücken füllen, die durch Erneuerbare entstehen. Er kann dafür sorgen, dass Wind- oder Solarstrom nicht einfach verpufft, sondern nutzbar bleibt. Und er kann Netzbetreibern eine Reserve bieten, die flexibel und dezentral verfügbar ist. Das ist keine komplette Lösung, aber ein zentraler Baustein.

Zum Schluss: Wie sieht aus Ihrer Sicht das Stromnetz der Zukunft aus?

Baumann: Es wird kein starres System mehr sein, sondern ein dynamisches. Viele kleine Speicher, verteilt im ganzen Land, gesteuert durch intelligente Plattformen. Keine Abhängigkeit von einem Ort, keine Großlösung, die alles bestimmt, sondern ein Netzwerk, das flexibel reagiert. Das ist für mich das virtuelle Kraftwerk – ein unsichtbares Rückgrat der Energiewende.