Zwischen Verzicht, Vermögenslücke und digitalen Chancen
15.10.2025

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Immer mehr junge Menschen erkennen: Ohne private Vorsorge droht im Alter ein finanzieller Absturz. Wie eine aktuelle Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sowie neue Umfragen von Union Investment und CRIF zeigen, sitzt die Angst vor Altersarmut tief. Die Folge: Junge Erwachsene sparen trotz steigender Kosten zunehmend für die Rente. Doch private Vorsorge braucht mehr als persönlichen Verzicht – etwa eine ausgeklügelte Anlagestrategie basierend auf solidem Finanzwissen. Aber auch der strukturelle Reformbedarf bleibt hoch. Gefragt sind politische Vision und technologische Innovation.
Angst vor Altersarmut
Die Vermögensverteilung in Deutschland ist nicht nur eine Frage der sozialen Schicht, sondern weist auch eine deutliche Ungleichheit zwischen den Generationen auf, die sich aktuell weiter verfestigt hat. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) besitzen unter 35-Jährige im Durchschnitt nur rund 17.300 Euro Nettovermögen. Demgegenüber stehen über 241.000 Euro bei den 55- bis 64-Jährigen – ein erheblicher Abstand mit weitreichenden Auswirkungen auf die Zukunftsfähigkeit privater Altersvorsorge. Dieser Schieflage sind sich vor allem junge Leute bewusst. Über 50 % der 20- bis 29-Jährigen äußern laut Union Investment konkrete Ängste vor Altersarmut. Trotz steigender Lebenshaltungskosten spart mehr als ein Drittel von ihnen bereits privat für den Ruhestand – oft auf Kosten kurzfristigen Konsums und mit geringen Renditeaussichten aufgrund klassischer Sparprodukte.
Digitalisierung verändert den Zugang zu Kapitalmärkten
Während klassische Sparformen wie Tages- oder Festgeld aufgrund niedriger Realrenditen zunehmend an Attraktivität verlieren, ermöglichen technologische Innovationen einen niedrigschwelligen Zugang zu alternativen Anlageformen. Digitale Plattformen, Robo-Advisors und KI-gestützte Tools bieten heutzutage auch unerfahrenen Anlegern Möglichkeiten, ihr Kapital transparent und strukturiert zu investieren. Gerade in volatilen Märkten leisten algorithmische Systeme einen entscheidenden Beitrag: Sie unterstützen bei der rationalen Entscheidungsfindung, minimieren emotionale Verzerrungen und helfen dabei, langfristige Strategien konsequent umzusetzen. Dieser technologische Fortschritt trägt zur Demokratisierung des Kapitalmarkts bei. Niedrige Einstiegshürden, intuitive Benutzeroberflächen und datengestützte Empfehlungen machen es möglich, dass auch Einsteiger fundierte Anlageentscheidungen treffen können. Allerdings gilt: Technologie ersetzt nicht die Expertise erfahrener Fachleute. Entscheidend ist die Kombination aus digitaler Effizienz und menschlicher Finanzkompetenz – ein Ansatz, der Risiken reduziert und Vertrauen schafft.
Wissen als Schlüssel zu nachhaltiger Vorsorge
Finanzielle Bildung bleibt der zentrale Hebel für erfolgreichen Vermögensaufbau. Viele junge Menschen fühlen sich angesichts der Vielzahl von Produkten und Informationen überfordert. Fehlendes Wissen führt oft zu einer Vermeidung des Themas oder zur Wahl ungeeigneter Produkte. Finanzwissen muss daher frühzeitig und systematisch vermittelt werden – idealerweise bereits im Schulunterricht und in der Berufsausbildung. Ziel ist es, finanzielle Selbstbestimmung zu fördern und die Fähigkeit zu stärken, eigene Vorsorgeentscheidungen fundiert treffen zu können.
Reformbedarf im Rentensystem: ein kapitalgedecktes Modell als Option
Neben individueller Vorsorge und technologischem Zugang braucht es vor allem eines: strukturelle Reformen. Das derzeitige umlagefinanzierte Rentensystem steht unter massivemDruck – demografischer Wandel, eine schrumpfende Anzahl der Beitragszahler und strukturelle Ungleichgewichte wie die Nichtbeteiligung bestimmter Berufsgruppen verschärfen die Situation. Betrachtet man allein das Verhältnis der Menschen im Rentenalter (ab 67 Jahren) zu Menschen im Erwerbsalter (20 bis unter 67 Jahre), so steigt der Altersquotient nach den Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes von heute 0,33 auf 0,42 im Jahr 2035.
Ein Blick in andere Länder zeigt, wie ergänzende kapitalgedeckte Systeme funktionieren können. In der Schweiz etwa zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam in ein persönliches Vorsorgekonto ein. Das angesparte Kapital wird verzinst, bleibt individuell zugeordnet und kann beim Eintritt in den Ruhestand flexibel genutzt werden – als regelmäßige Rente oder Einmalzahlung. Dieses Modell stärkt die Eigenverantwortung und ermöglicht häufig höhere Auszahlungen im Alter. Auch für Deutschland wäre ein solches Konzept denkbar. Ein Modell mit gestaffelter Beitragsstruktur könnte bereits in der Kindheit beginnen – beispielsweise durch staatliche oder elterliche Einzahlungen von 100 Euro monatlich bis zum 30. Lebensjahr. Im Erwerbsleben könnten sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer zusätzlich 5 % des Bruttolohns in ein persönliches Vorsorgekonto fließen. Bei langfristiger Verzinsung ließe sich so ein Kapitalstock aufbauen, der im Ruhestand eine monatliche Auszahlung von rund 2.750 Euro ermöglichen könnte – rund 84 % des heutigen Durchschnittseinkommens. Solche Lösungen entlasten die umlagebasierte Rente, erhöhen die Auszahlungssicherheit und schaffen mehr individuelle Kontrolle über die finanzielle Zukunft.
Altersvorsorge braucht Technologie, Bildung – und Mut zur Reform
Klassisches Sparen reicht nicht mehr aus. In einer Zeit niedriger Realrenditen und struktureller Unsicherheiten sind alternative, technologiegestützte Ansätze gefragt. Die Verbindung von digitaler Innovation und finanzieller Bildung eröffnet neue Wege für individuelle Vorsorgestrategien. Gleichzeitig zeigt sich: Persönlicher Verzicht allein kann die strukturellen Defizite im Rentensystem nicht kompensieren. Ein zukunftsfähiges Modell erfordert politische Weichenstellungen, die kapitalgedeckte Elemente integrieren, Chancengleichheit fördern und den Menschen mehr Kontrolle über ihre finanzielle Zukunft geben.
Ein Beitrag von Vito Micoli, Geschäftsführer, FI Investments

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