„Der AfW ist ein starkes Sprachrohr“

12.06.2025

Der AfW-Vorstand: Norman Wirth, Franziska Geusen und Frank Rottenbacher / Foto: © fw

Exklusiv

Anfang Mai konnte die finanzwelt-Redaktion den AfW-Vorstand (bestehend aus Norman Wirth, Frank Rottenbacher und Franziska Geusen) zu einem intensiven Gespräch in Wiesbaden begrüßen. Im Vordergrund stand natürlich die neue Bundesregierung und die Erwartungen in puncto Altersvorsorge. Daneben gingen wir u.a. auf die Finanzbildung, die Regulierungsbestrebungen in Brüssel und Berlin sowie die Initiativen des AfW ein.

finanzwelt: Ein herzliches Willkommen an den AfW-Vorstand. Es sind aufregende Zeiten. Die neue Regierung ist im Amt. Viel Hoffnung, auch in Sachen Forcierung der Reform der Altersvorsorge, lastet auf ihr. Was erwarten Sie von Merz & Co.?

Norman Wirth: Deutschland hat wieder eine stabile, tragfähige Regierung. Das ist ein gutes Zeichen, auch mit Blick auf unsere Stellung innerhalb Europas und international. Die neue Regierung um Friedrich Merz steht vor einem Berg an Aufgaben, die dringend angegangen werden müssen. Reformbedarf besteht zweifellos – darin herrscht weitgehend Einigkeit. Doch leider spart der Koalitionsvertrag grundlegende Reformen in der Altersvorsorge über alle drei Säulen hinweg nahezu vollständig aus. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern ein klares politisches Versäumnis. Die Rente mit 63 wird nicht angetastet, das Rentenniveau soll bis 2031 bei 48 % stabilisiert werden – doch zu welchem Preis? Steigende Beiträge und eine zunehmende Generationenungerechtigkeit sind die Konsequenz. Echter Reformwille sieht anders aus.

Frank Rottenbacher: Man muss ja sich auch darüber im Klaren sein, dass Schwarz und Rot Parteien sind, die in der Rententhematik inhaltlich sehr weit auseinander liegen. Hier einen wegweisenden Schritt nach vorne zu gehen und in der Legislaturperiode wirklich etwas zu bewegen, ist theoretisch mehr als wünschenswert, in der Praxis jedoch ein sehr dickes Brett. Insofern sparten die Koalitionäre das Thema der Reform der Altersvorsorge weitgehend aus. Mit Blick auf die nächsten Jahre bleibt aber die Hoffnung, dass sich diesbezüglich doch noch etwas tut und notwendige Dinge angepackt werden, die so nicht im Koalitionsvertrag fixiert wurden.

finanzwelt: Frau Geusen, überwiegt auch bei Ihnen die Skepsis hinsichtlich der Reformbestrebungen?

Franziska Geusen: In puncto Altersvorsoge hätten wir uns alle wahrscheinlich mehr erhofft. Doch darüber hinaus finden sich auch durchaus viele positive Aspekte und Impulse im Koalitionsvertrag. Ich erwähne beispielsweise die Stärkung Deutschlands als wahrnehmbare Start-up-Nation. Auch die Neuaufteilung der Ressorts innerhalb der Regierung. Es bewegt sich etwas in die richtige Richtung. Nach der Aufbruchstimmung müssen natürlich Taten folgen.

finanzwelt: Kurz nachgehakt: Um was geht es bei dieser „Frühstart-Rente“, Frau Geusen?

Geusen: Ab 01.01.2026 plant die Koalition für jedes Kind ab dem sechsten bis zum 18. Lebensjahr 10 Euro pro Monat in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot einzuzahlen. Das ist vom Betrag her eher Symbolpolitik. Zumindest ist es im Idealfall ein Ansatz, das Thema der Altersvorsorge, und im Speziellen der privaten Vorsorge, jungen Menschen näher zu bringen. So können junge Menschen früh positive Erfahrungen mit dem Kapitalmarkt sammeln, von den Erträgen profitieren und langfristig Vermögen aufbauen.

Rottenbacher: Entscheidend wird sein, wie dieses Depot konkret ausgestaltet wird. Welche Produkte werden zugelassen? Wie hoch sind mögliche private Zusatzbeiträge – vor und nach dem 18. Lebensjahr? Gibt es eine strategische Steuerung Richtung europäische Aktienmärkte? Wie wird die Entnahme geregelt? Viele Fragen sind offen.

finanzwelt: Insbesondere hinsichtlich der Stärkung der zweiten bzw. dritten Säule sollte/müsste sich doch generell etwas tun, oder?

Wirth: Ohne Frage. Zunächst zur zweiten Säule – der betrieblichen Altersvorsorge. Die Koalition plant, diese insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen sowie Geringverdienern zu stärken. Positiv ist auch die geplante Verbesserung der Portabilität bei Arbeitgeberwechseln.

Rottenbacher: Das sind sinnvolle Ansätze, denn sie unterstreichen den Nutzen der bAV. Allerdings bleiben die Aussagen im Koalitionsvertrag recht vage und man darf gespannt sein, ob letztlich tatsächlich eine spürbare Verbesserung erreicht wird.

Wirth: Aktuell ist die betriebliche Altersvorsorge noch mit hohen bürokratischen Hürden verbunden, das System teils schwer verständlich. Das soll sich jetzt ändern. Stichworte: Transparenz und Digitalisierung. Aber ob dadurch bAV-Vermittler ihren Kunden den Nutzen eines Abschlusses besser verdeutlichen können und die bAV einen Push erlebt, bleibt abzuwarten. Wir setzen uns für eine verpflichtende bAV-Beratung ein.

finanzwelt: Ich möchte gerne noch einmal auf die dritte Säule zu sprechen kommen. Dahinter verbirgt sich ja auch der Gedanke, generationenübergreifend die Aktienkultur zu stärken.

Geusen: Absolut. Und das ist wichtig und richtig. In puncto Aktienkultur ist Deutschland im internationalen Vergleich weiterhin Schlusslicht. Das muss sich ändern. Es ist essenziell, dass Bürgerinnen und Bürger stärker vom Ertragspotenzial von Aktien und Fonds profitieren können – und zwar in allen drei Säulen der Altersvorsorge.

Wirth: Die Idee ist ja auch nicht neu. Schon die vorige Bundesregierung hatte auf Drängen der FDP im Rentenpaket 2 mit dem sogenannten Generationenkapital geplant, dass die gesetzliche Rentenkasse künftig neben Beiträgen und Zuschüssen aus dem Staatshaushalt eine weitere, aktienbasierte Finanzierungssäule bekommen sollte. Und auch im geplanten, aber leider nicht zustande gekommenen Reformgesetz zur privaten Altersvorsorge waren entsprechende Ansätze. Es braucht eigentlich weder eine erneute Rentenkommission noch Minimalkonsenslösungen wie die ‚Frühstart-Rente‘. Die eigentlichen Lösungen liegen seit Jahren auf dem Tisch.

Rottenbacher: Die Stärkung der privaten Vorsorge ist alternativlos. Es gilt die Menschen zu motivieren, privat noch mehr zu tun und dabei auch in renditestärkere Anlagen wie kapitalmarktnahe Produkte zu investieren.

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