Der Mai ist mal wieder gekommen

03.05.2021

Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH / Foto: © I.C.M.

Auch wenn ich immer wieder auf die Risiken hinweise, bin ich kein Crash-Prophet. Ich bin überzeugt, dass, wenn es nach dem Willen der Politiker und Notenbänker läuft, wir auf weiteres keine Zinsen mehr auf risikoarme Anlagen sehen werden, so dass Aktien „alternativlos“ sind. Außerdem dürften die Staatsschulden weiter ansteigen. Diese sind nur bei historisch niederen Zinsen finanzierbar. Das wäre ein weiteres Argument pro Aktie. Aber genau hier liegt auch eine riesige Gefahrenquelle. Es verdichten sich die Anzeichen, dass die Inflation über das „Ziel“ zwei Prozent hinausschießen könnte. Die Rohstoffpreise incl. der Lebensmittelrohstoffe sind schon um etwa 10 % gestiegen. Viele Lebensmittel sind nicht teurer geworden, aber die unveränderte Packungsgröße beinhaltet keine 400g mehr, sondern nur noch 350g. Ein Preisanstieg durch die Hintertür. Mit dem Ende der Pandemie wird die Auflösung des Konsumstaus auf ein reduziertes Angebot treffen, was üblicherweise zu Preiserhöhungen führt. Lieferketten sind derzeit teilweise schon unterbrochen.

Die Notenbanken haben ein „temporäres“ Zulassen einer über der Ziellinie liegenden Inflation signalisiert. Sie „verniedlichen“ die Risiken. Sie verkünden den Eindruck, dass sie die Inflation „im Griff“ haben, obwohl sie jahrelang ihr Ziel trotz aller Bemühungen nicht erreicht haben. Aber akzeptiert dies auch der Kapitalmarkt oder steigen die Zinsen unerwartet weiter? Nicht nur die Zombie-Firmen kämen in die Bredouille eventuell auch Banken und sogar der eine oder andere Staat. In den USA steuert die Verschuldung auf 30 Billionen zu. Dies bedeutet, dass ein Zinsanstieg pro ein Prozent das Haushaltsdefizit um weitere $ 300 Milliarden p.a. erhöht und müsste mitfinanziert werden. Der Zinseszins-Effekt nimmt seinen Lauf.

Das Debakel um Melvin und Archegos hat die Hedgefonds als unkalkulierbare Risikogruppe identifiziert. Sie verwalten zwei bis drei Billionen Dollar, meist noch mit Krediten gehebelt. Sie sind demnach oft hochspekulativ, teuer, intransparent, zu wenig „beaufsichtigt“ und daher gefährlich für die Kapitalmärkte. Wetten haben nun mal ein 100 %-Risiko. Wehe, wenn die Fonds einmal querbeet „falsch“ liegen.  Dann trifft es nicht nur einzelne Aktien (s. ViacomCBS, Tesla, Gamestop), sondern den gesamten Markt.

Der „kleine“ Fonds Archegos hat zum Beispiel die Credit Suisse schnell mal 5,5 Milliarden gekostet. Wir sollten uns an die Lehman-Pleite 2008 erinnern. Das war damals schon „knapp“, bei deutlich weniger Gesamt-Volumen. Die Hedgefonds sind für die Inhaber und Vorstände eine Gelddruckmaschine. Sie werden logischer Weise die Derivate verteidigen mit der Begründung, dass das Netto-Risiko aufgrund von Gegenpositionen deutlich kleiner ist. Wenn aber die Derivate implodieren, die Gegenparteien ausfallen (Pleite), dann sind diese Billionen eine atomare Zeitbombe für die Märkte.

Darüber hinaus finanzieren die Banken dieser Welt nicht nur die Hedgefonds, sie verdienen auch mit durch Optionen gesicherten Eigenprodukten gutes Geld. Ende April wurden Zahlen veröffentlicht, wonach z. B. die Deutsche Bank offene Derivate-Produkte im Gegenwert von 37 Billionen Euro besitzt, bei einem Eigenkapital von 62 Milliarden. Die Derivatepositionen liegen also rechnerisch beim 600-fachen des Eigenkapitals. Im Klartext: Ein Verlust von 0,20 % im Derivatesegment würde das Eigenkapital aufbrauchen.

Ein Horrorszenario wäre, wenn die Fonds unisono auf sinkende Zinsen spekuliert haben und diese steigen an. Ein solcher „Short-Squeeze“ würde alle Anlagemärkte in Mitleidenschaft ziehen. Hauptverlierer wären neben den Hedgefonds-Anleger die Banken. Warren Buffett nannte Derivate einmal „die größte Geldvernichtungsmaschinerie“. Gordon Gekko (Wallstreet) sagte im Film, sie seien gut. Aber wenn alles vorbei ist, wird nichts mehr so gut sein, wie gedacht.

Kolumne von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH

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