Die Hidden Champions kommen!

11.03.2024

Foto: Bernhard Kuntz

In digitalen Nischenmärkten können Mittelständler ihre Stärken ausspielen. Deshalb werden in den kommenden Jahren in der DACH-Region vermutlich viele Hidden Champions entstehen – auch im KI- Bereich.

„Deutschland, Österreich und die Schweiz haben die Digitalisierung verschlafen“. Diese Aussage hört man oft. Die DACH-Region hinke wie die meisten Länder in Europa im Digitalbereich technologisch hinterher, und ihre digitale Wirtschaft liege weit hinter der von Ländern wie den USA, China und Südkorea zurück.

„Das stimmt – jedoch nur bedingt“, betont Prof. Dr. Georg Kraus, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. In der ersten Phase der Digitalisierung, in der die neue digitale Infrastruktur geschaffen werde, lägen zwar außer-europäische Konzerne wie Microsoft, Google, Amazon und Alibaba, aber auch OpenAI und Nvidia „oft meilenweit vorn“. Doch in der nächsten Phase der Digitalisierung könne die Wirtschaft im deutschsprachigen Raum ihre Stärken durchaus ausspielen – und zwar überall dort, wo sie traditionell am erfolgreichsten ist: in Nischenmärkten. In ihnen können viele mittelständische Unternehmen, so seine These, in den kommenden Jahren hochprofitable Geschäfte aufbauen.

Viele Nischenmärkte warten auf ihre Erschließung

Doch welche Märkte sind das? Unter anderem die Branchen und Geschäftsfelder, in denen auch nach mehr als 30 Jahren Digitalisierung noch weitgehend nach analogen Prinzipien gearbeitet wird. Ein Paradebeispiel hierfür ist die öffentliche Verwaltung.

Doch auch in der privaten Wirtschaft lässt sich eine schier endlose Zahl potenzieller lukrativer Nischenmärkte identifizieren. Davon ist Dr. Jens-Uwe Meyer, der Vorstandsvorsitzende der Innolytics AG, Leipzig, überzeugt. So zum Beispiel, wenn man als Anbieter im Digitalbereich, zu dem auch die KI zähle, sein Augenmerk auf solche Themenfelder wie die Anlagen- und Prozessteuerung oder allgemein Automatisierung richte. Oder wenn man sich auf ausgewählte Zielgruppen wie Unternehmen mit einer Filialstruktur oder einem hohen Personalkostenanteil fokussiere. Oder wenn man sich im Bereich Logistik auf Unternehmen spezialisiere, die beim Warentransport besondere Auflagen und Vorschriften beachten müssen. Die Zahl der möglichen Digitalisierungs- und KI-Einsatz-Nischen sei nahezu unendlich, betont Meyer. Und diese eröffne in den nächsten Jahren „hochspezialisierten Unternehmen die Chance, digitale Hidden Champion zu werden“.

Diese Chance möchte auch die Innolytics AG nutzen, indem sie, so CEO Meyer, mittelständischen Unternehmen „mit digitalen Lösungen hilft, so komplexe Anforderungen wie die ISO-Norm zu erfüllen“. So hat ein Tochterunternehmen von Innolytics das DICIS Institut (Digital Institute for Certification of International Standards), gerade ein „KI-Tool“ auf den Markt gebracht, in das „Mittelständler nur den Namen ihres Unternehmens und eine Beschreibung seiner Tätigkeiten einfügen müssen“. Danach erstellt die Software alle für die ISO- Zertifizierung erforderlichen Dokumente – sozusagen auf Knopfdruck. Diese Vorlagen können dann dem individuellen Bedarf angepasst werden. Das Anlegen der kompletten für die ISO-Zertifizierung erforderlichen Dokumentation dauert so „nur noch wenige Stunden“. Meyer prophezeit: Sollte sich dieses Tool oder ein vergleichbares im Mittelstand durchsetzen, wird dies „den Markt der Zertifizierung von Managementsystemen nachhaltig verändern“.

Ziel: Ein digitaler Hidden Champion werden

Innolytics strebt nicht danach, ein Weltmarktführer wie Microsoft zu werden. Die AG will auch nicht wie Uber die Welt der Mobilität verändern. Das Unternehmen möchte vielmehr wie viele potenzielle digitale Hidden Champions „hochprofitable digitale Nischen besetzen und in ihnen mittelfristig Millionenumsätze machen – bei im Vergleich zu traditionellen Unternehmen geringen Kosten“.

Innolytics will auch nicht den klassischen Zertifizierern – wie in Deutschland zum Beispiel dem TÜV und der DEKRA – Kunden abjagen. „Unsere Vision ist es, die ISO- Zertifizierung von Managementsystemen auch für die Millionen Klein- und Mittelunternehmen erschwinglich und leicht handelbar zu machen“, erklärt Meyer. Dieser digitale Markt ist im Vergleich zum Markt von Amazon zwar klein, doch dafür ist er wie fast alle Nischenmärkte bei weitem nicht so umkämpft wie zum Beispiel der E-Commerce. In den Online-Handel strebten in den vergangenen Jahren viele Start-ups und Konzerne mit der Vision, entweder ein Einhorn zu werden oder dort wie Amazon ein Quasi-Monopol zu schaffen. Viele andere Branchen und Geschäftsbereiche wie die Zertifizierung von Managementsystemen blieben jedoch „bisher noch weitgehend vom digitalen Wettbewerb verschont“, betont Georg Kraus, der unter anderem Lehrbeauftragter an der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal ist. In ihnen findet erst allmählich ein Erwachen statt.

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