Liebe Manager: Märchen machen keine guten Führungskräfte
04.11.2025

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Neue Führungskräfte stehen heutzutage unter enormem Druck, sofort inspirierend, authentisch und emotional offen zu führen. Doch viele der beliebten Leadership-Mantras halten wissenschaftlicher Prüfung nicht stand. Wer langfristig erfolgreich führen will, braucht nicht Buzzwords sondern Selbstreflexion, Klarheit und Kontextbewusstsein im täglichen Miteinander.
Stellen wir uns einmal die Situation vor: Sie haben gerade Ihre erste Führungsposition angetreten - herzlichen Glückwunsch! Ihr Kalender ist plötzlich voller Management-Meetings, Ihr Posteingang quillt über und Sie haben nun „Untergebene“, für die Sie direkt verantwortlich sind, die von Ihnen Antworten auf Fragen erwarten, auf die Sie noch keine Antwort wissen. Sie sind technisch gesehen verantwortlich ... aber was bedeutet das überhaupt?
An diesem Punkt verlassen sich die meisten neuen Manager wahrscheinlich auf eine Vielzahl von Podcasts, LinkedIn-Beiträgen und gut gemeinten Ratschlägen. Das Problem ist, dass einige dieser Ratschläge - um es ganz klar auszudrücken - völliger Schwachsinn sind.
Es ist einfach zu beobachten, was passiert, wenn die meistgehypten Führungsmantras nicht hinterfragt werden. Und die Ergebnisse sind nicht gerade förderlich für die Moral des Teams, die Leistung oder die eigene geistige Gesundheit.
Hogan Assessments hat drei der am häufigsten verbreitete Irrtümer untersucht, denen neue Führungskräfte oft zum Opfer fallen, und was die Persönlichkeitsforschung zu diesen wirklich sagt:
Mythos Nr. 1: „Seien Sie verletzbar“ - Aber vielleicht nicht immer
In den letzten Jahren ist „Verletzlichkeit“ zum Führungs-Schlagwort des Jahrzehnts geworden. Zeigen Sie Ihre Gefühle. Seien Sie menschlich. Öffnen Sie sich Ihrem Team gegenüber.
Theoretisch ist das alles schön und gut, bis sich der Check-in am Montagmorgen dann in eine Gruppentherapiesitzung verwandelt. Es gibt einen Punkt, an dem emotionale Offenheit zu emotionalem Überlauf wird. Infolgedessen können sich Stress und emotionale Belastungen am Arbeitsplatz durch Teaminteraktionen ausbreiten und vervielfachen, was die Gesamtleistung des Unternehmens gefährdet. Empathie ist zweifellos der Schlüssel zu optimaler Führung und Zusammenarbeit, doch wenn innere Konflikte immer öffentlich geteilt werden, kann dies das Team unbeabsichtigt belasten.
Gute Führung erfordert klare Grenzen und das Wissen, wann Emotionen gezeigt werden sollten - wenn überhaupt. Von dem Team sollte nicht erwartet werden, dass es die Rolle eines Seelsorgers übernimmt, während sich die Termine häufen.
Mythos Nr. 2: „“Seien Sie Sie selbst!“ - An sich Ja, aber alles hat seine Zeit und seinen Ort.
Der Aufruf, „authentisch zu führen“, hat sich einen Ruf von "Ermächtigung" angeeignet. Aber was ist, wenn das „authentisches Selbst“ in Meetings unbeholfen ist, nicht weiß, wie es konstruktives Feedback zu geben gilt, oder unter Druck in Panik gerät?
Authentizität kann im Management schnell zu Selbstgefälligkeit werden. Deshalb muss jeder neue Manager weiterhin selbstbewusst sein. Wer eine Führungsrolle innehat, muss in der Lage sein den Fokus von den eigenen Gefühlen auf Führungstärke zu verlagern.
Die jüngste Erhebung von Gallup (2024) zeigt, dass fast die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer (45 %) entweder aktiv nach einer neuen Stelle sucht oder offen für Angebote anderer Arbeitgeber ist. Dies ist der höchste jemals verzeichnete Wert und deutlich höher als die 34 % der europäischen Arbeitnehmer, die 2022 angaben, auf der Suche nach einer neuen Stelle zu sein. Außerdem sind nur 14 % der deutschen Arbeitnehmer engagiert, fühlen sich bei der Arbeit wohl und erleben eine Führungskultur, die ihr Engagement fördert. Erschreckende Statistiken, die auf eine Diskrepanz zwischen Führungsstil und den tatsächlichen Bedürfnissen der Teams hindeuten.
Gute Manager sind nicht einfach „sie selbst“ – sie managen sich selbst. Sie widerstehen der Versuchung, sich genauso zu verhalten wie zu Hause. Sie passen sich ihrem Arbeitsumfeld an. Sie lesen die Stimmung im Raum. Sie führen mit der richtigen Absicht und lassen sich nicht von Impulsen leiten.
Mythos Nr. 3: "Charisma is King" - bis die Krone fällt
Große Gesten, große Ideen, vielversprechende Worte. Charisma ist magnetisch, es zieht Menschen an. Leider kann es auch den Fokus von echter Kompetenz und Fähigkeiten am Arbeitsplatz ablenken.
Erkenntnisse der Cambridge Judge Business School zeigen, dass Charisma bei falscher Anwendung versagen kann – insbesondere in Kontexten, in denen eher Koordination als Heldentaten gefragt sind. Dies deutet ganz klar darauf hin, dass eine Diskrepanz zwischen Führungsstil und den Bedürfnissen der Mitarbeiter letztendlich die Effektivität des Teams untergraben kann. In anderen Worten: Charisma ist nicht immer gleichbedeutend mit Kompetenz.
In schnelllebigen Umgebungen kann Charisma ein schneller Weg sein, um Einfluss zu gewinnen – aber es ist kein guter Ersatz für Verantwortungsbewusstsein, Struktur und strategisches Denken. Ein guter Vergleich ist ein Feuerwerk: zunächst beeindruckend, aber schnell verflogen.
Zum Schluss: Was sollten neue Manager stattdessen tun?
Alles in allem ist keine dieser Führungsqualitäten – Verletzlichkeit, Authentizität oder Charisma – von Natur aus schlecht. Aber sie sind keine Strategie. Sie sind Werkzeuge. Und Werkzeuge brauchen einen Kontext.
Die besten neuen Manager versuchen nicht, die „Echtesten“, die "Beliebtesten" oder die "Ausdrucksstärksten" zu sein. Sie lernen,
- Ihre Emotionen zu regulieren, während Sie weiterhin gut verbunden bleiben.
- Sie zeigen sich konsequent, nicht nur authentisch.
- Und Sie unterstützen Charisma mit Substanz, nicht mit Ego.
Bevor sie sich kopfüber in einen weiteren Selbsthilfe-Thread zum Thema „Führen mit dem Herzen“ stürzen, sollten neue Führungskräfte einen Moment innehalten und sich daran erinnern, dass es bei Führung oft nicht darum geht, eine perfekte Rolle zu spielen – sondern darum, zu wissen, welche Rollen man nicht spielen sollte.
Ein Beitrag von Dr. Ryne A. Sherman, PhD, Chief Science Officer, Hogan Assessments

Ryne Sherman ist ein renommierter Persönlichkeitspsychologe und Führungsexperte. Als Chief Science Officer bei Hogan arbeitet er mit Top-Organisationen zusammen, um die besten Führungskräfte und CEOs durch die Nutzung von Persönlichkeitsdaten auszuwählen. Ryne hat unter anderem umfangreiche Untersuchungen zu den drei häufigsten Herausforderungen durchgeführt, mit denen Teams in Organisationen heute konfrontiert sind, sowie Ansätze entwickelt und gestestet, um diese zu überkommen.

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