Mehr als Effizienz - Wie Digitalisierung Mensch, Prozess und Kundenerlebnis verbinden muss
14.08.2025

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Die Versicherungswirtschaft steckt in einem tiefgreifenden Umbruch. Veraltete IT-Strukturen, Fachkräftemangel und steigende Kundenerwartungen treffen auf eine Branche, die lange von Stabilität und Kontinuität geprägt war. Der Ruf nach Veränderung ist deutlich – doch wie gelingt dieser Wandel, ohne das Gleichgewicht zwischen Automatisierung und persönlichem Service zu verlieren? Kurz: Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein. Es braucht technologiegestützte, aber menschenzentrierte Ansätze.
Systembruch trifft Fachkräftelücke – RPA als Gamechanger
Viele Versicherer stehen heute vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits prägen heterogene, teils über Jahrzehnte gewachsene IT-Landschaften den operativen Alltag. Diese Systeme behindern durch manuelle Schnittstellen und fehlende Integration die Effizienz und machen einfache Anpassungen oft unnötig aufwendig. Andererseits verschärft der demografische Wandel den Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte – insbesondere in den versicherungsspezifischen IT- und Fachabteilungen. Die Folge: Ressourcen werden gebunden, um bestehende Systeme aufrechtzuerhalten, während für strategische Weiterentwicklungen oft die Kapazitäten fehlen. Ein zentraler Hebel, um hier wirksam gegenzusteuern, ist der Einsatz von Robotic Process Automation (RPA). Bei der Stuttgarter nutzen wir Software-Bots, um regelbasierte Tätigkeiten zu automatisieren – etwa in der Bearbeitung von Risikovoranfragen, bei Beitragsfreistellungen oder der Rückzahlung von Beitragsguthaben. Der besondere Vorteil liegt darin, dass diese Bots direkt auf bestehenden Oberflächen agieren. Tiefgreifende Eingriffe in die Systemlandschaft sind nicht erforderlich. Das Ergebnis: schnellere Abläufe, reduzierte Fehlerquoten und eine deutliche Entlastung der Teams. Allein im vergangenen Jahr konnten wir durch RPA rund 800 Personentage einsparen – Zeit, die wir gezielt in strategische Projekte, Qualitätssicherung und Kundenkommunikation investieren.
Digitale Transformation braucht Kulturwandel, kein Tool-Feuerwerk
Doch Digitalisierung endet nicht bei der Effizienz. Damit technologische Veränderungen nachhaltig wirken, braucht es einen kulturellen Wandel im Unternehmen. Nur wenn Mitarbeitende eingebunden, befähigt und mitgenommen werden, entfalten digitale Tools ihr volles Potenzial. Erfolgreiche Digitalisierungsstrategien setzen deshalb auf Transparenz, Teilhabe und die aktive Rolle der Belegschaft im Veränderungsprozess. Auch bei der Stuttgarter ist dieser Gedanke zentral. Technische Neuerungen werden gezielt mit strukturellen Veränderungen begleitet. Mitarbeitende werden von Beginn an in den digitalen Transformationsprozess eingebunden – etwa durch Schulungen, interaktive Formate und ein unternehmensweites Ideenprogramm. Die RPA-Initiative ist ein Beispiel dafür: Ein fünfköpfiges Kernteam arbeitet eng mit rund 20 geschulten Mitarbeitenden aus verschiedenen Fachbereichen zusammen. Gemeinsam identifizieren sie Automatisierungspotenziale, entwickeln die Bots und überwachen deren Einsatz. Und das alles ohne IT-Entwickler. Nur so kann nicht nur eine hohe Passgenauigkeit der Lösungen entstehen, sondern es werden auch die klassischen IT-Engpässe umschifft. Und ganz nebenbei – auch die Akzeptanz und Identifikation von Fachbereichsmitarbeitenden mit der Technologie und notwendigen IT-Prozessen wird deutlich verbessert.
Intelligente Verbindungen statt isolierter Lösungen
Digitalisierung entfaltet ihre volle Wirkung nicht durch Einzellösungen, sondern durch das Zusammenspiel intelligenter Systeme. Moderne Plattformansätze und Integrationslösungen gewinnen dabei zunehmend an Bedeutung: Sie helfen, über Jahrzehnte gewachsene Systemlandschaften zu vernetzen und Medienbrüche zu vermeiden. Durch zentrale Schnittstellen lassen sich interne Prozesse, Vertriebspartner und externe Tools flexibel verbinden – eine Voraussetzung für schnelle, durchgängige und kundennahe Services. Auch wir greifen auf diesen Ansatz zurück, um z. B. Mitarbeitende von einem besseren Informationszugriff profitieren zu lassen oder transparentere Abläufe zu gewährleisten und so unsere Kundinnen und Kunden gezielter und fundierter betreuen zu können. Darüber hinaus loten wir in ersten Projekten das Potenzial von KI aus – etwa in der Verarbeitung unstrukturierter Daten sowie der automatischen Kategorisierung von Anfragen oder auch in unserer Telefonie bei der Anliegenerkennung. Die Kombination aus RPA und KI als Agentic Process Automation (APA) eröffnet neue Möglichkeiten in der Sachbearbeitung, bleibt bei uns aber klar unterstützend gedacht. Denn für Entscheidungen, die Vertrauen und Fingerspitzengefühl erfordern, bleibt – auch hier – der Mensch unverzichtbar.
Ohne Kundennutzen bleibt Digitalisierung wirkungslos
Digitalisierung entfaltet ihre Wirkung dann, wenn sie vor allem für Kundinnen und Kunden einen spürbaren Mehrwert schafft. In einer zunehmend digitalen Welt steigen die Erwartungen an Schnelligkeit, Transparenz und Servicequalität. Kundinnen und Kunden erwarten klare Kommunikation, einfache Zugänge zu Informationen und eine zügige Bearbeitung ihrer Anliegen. Ich sehe das als Chance, unsere Services gezielt und proaktiv weiterzuentwickeln: Automatisierte Prozesse sorgen bei der Stuttgarter beispielsweise dafür, dass Fälle schneller bearbeitet, Vertragsänderungen reibungslos umgesetzt oder Rückfragen präziser beantwortet werden können. Gleichzeitig bleibt der persönliche Kontakt dort erhalten, wo er gefragt ist – bei erklärungsbedürftigen Produkten oder sensiblen Themen. Die Technologie schafft so den nötigen Raum, um echte Beziehungen zu stärken, anstatt sie zu ersetzen.
Unsere Erfahrung zeigt: Digitalisierung in der Versicherungsbranche ist kein Sprint, sondern ein kontinuierlicher Prozess mit dem ein oder anderen Balanceakt. Technologien wie RPA oder KI sind wichtige Bausteine – doch ihre Wirkung entfalten sie erst im Zusammenspiel und mit den Menschen, die sie anwenden. Ich sehe die digitale Transformation als ganzheitliche Aufgabe: Prozesse optimieren, Mitarbeitende befähigen, Haltung verändern und Kundenerlebnisse verbessern. Wer es heute schafft, Automatisierung mit Expertise, Effizienz mit Empathie und Innovation mit Vertrauen zu verbinden, gestaltet aktiv den Wandel und die Zukunftsfähigkeit unserer Branche.
Ein Beitrag von Michael Krebbers, Vorstandsmitglied, Die Stuttgarter

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