Value Investing auch 2023 im Fokus

14.12.2022

Dyrk Vieten, geschäftsführender Gesellschafter von ficon Vermögensmanagement und Manager des nachhaltigen Dividendenfonds ficon Green Dividends-INVEST I / Foto: © Dyrk Vieten

Nach einem guten Jahr kann Value auch im neuen Jahr weiter durchstarten. Das Umfeld spricht für diesen Anlagestil.

Warren Buffett, Benjamin Graham, David Dodd, Charlie Munger, Christopher Browne, Frank Lingohr: Diese Investment-Größen sind allesamt Verfechter des Value Investing. Das ist bekanntlich eine Anlagestrategie, bei der Aktien ausgewählt werden, die unter ihrem inneren Wert oder Buchwert gehandelt werden. Value-Investoren suchen also aktiv nach Aktien, von denen sie auf Basis professioneller Finanzanalysen meinen, dass der Aktienmarkt sie unterbewertet. Sie folgen nicht dem Herdentrieb an den Kapitalmärkten und wollen auf diese Weise langfristig in Qualitätsunternehmen investieren.

MSCI World Value Index stärker als MSCI World

Value Investing hat sich im abgelaufenen Jahr gelohnt – trotz oder gerade aufgrund eines schwierigen Umfelds an den Kapitalmärkten und in der Realwirtschaft. Das zeigt der Blick in einen einschlägigen Index. Der MSCI World Value Index erfasst Large- und Mid-Cap-Titel, die in 23 Ländern der entwickelten Märkte allgemeine Value-Stilmerkmale aufweisen. Die Merkmale des Value-Anlagestils für die Indexkonstruktion werden anhand von drei Variablen definiert: Buchwert zu Preis, Zwölf-Monats-Forward-Earnings zu Preis und Dividendenrendite. Während der MSCI World Value Index vom 1. Dezember 2021 bis 30. November 2022 rund 2,9 % gewonnen hat, blickt der MSCI World auf ein Minus von etwa 10,4 %. Year-to-Date lag der MSCI World Value Index am 30. November mit 3,5 % im Minus, der MSCI World aber mit mehr als 14 %.

Damit hat das chaotische 2022 eine Wende eingeleitet. In den vergangenen Jahren stand das Growth Investing im Fokus vieler privater und professioneller Investoren. Die Wachstumsgeschichten vor allem von US-Technologieunternehmen haben die Attraktivität des Investmentstils gefördert. Doch zuletzt ist es eben durch schwankende Konjunktur, hohe Inflation und steigende Zinsen zu einem Mentalitätswandel gekommen. Es hat ein Realitätscheck stattgefunden, der dazu führte, dass Substanzwerte wieder an Attraktivität gewonnen haben. Damit hat das Value Investing eine Renaissance hingelegt und wird diese Tendenz auch 2023 fortsetzen.

Hohe Inflation und Zinsen sind positiv für Value

Gerade in Zeiten höherer Zinsen und steigender Inflation spielt das Value Investing also seine Stärke aus. Streng genommen sehen wir wieder eine Normalisierungsbewegung über alle Asset-Klassen hinweg, nachdem die Zentralbanken seit der Finanzkrise die Märkte mit Geld geflutet haben. Das historische Alpha liegt in Phasen hoher Inflation bei mehr als 6 % für Value. Neben Finanzwerten profitieren Industrie-, Energie- und Rohstofftitel besonders von einem Umfeld steigender Zinsen. Steigende Zinsen wirken sich auch auf den Abzinsungsfaktor für künftige Cashflows bei Aktien aus. Das ist positiv für Value- und Dividendenwerte, bei denen die Cashflows sicherer sind und eher in der nahen Zukunft liegen, und negativ für Growth-Werte mit Verlusten oder geringen Gewinne in der eher ferneren Zukunft. Auch die historische Durchschnittsbewertung für Value-Aktien lässt eine Outperformance erwarten. Und trotz guter absoluter Performance ist das Value-Segment günstiger geworden, da das Gewinnwachstum die Kurssteigerungen überkompensiert hat.

Hohes Risiko einer Downside für finanzierungsintensive Unternehmen

Daher können Value-Aktien im aktuellen Hochinflationsszenario mit unsicheren Wachstumsaussichten widerstandsfähiger sein als Growth-Titel, weil die Cashflow-Unsicherheiten deutlich geringer sind. Bei hochbewerteten Unternehmen aus dem Growth-Bereich ist die Fehlertoleranz sehr gering, denn jede Abweichung der Ergebnisprognose vergrößert das Risiko einer Downside für wachstumsorientierte Unternehmen.

Das liegt unter anderem an der sogenannten Mean Reversion. Das bezeichnet die Annahme, dass Märkte zu Übertreibungen neigen, die sich im Zeitablauf nicht nur zufällig korrigieren, sondern ein „Gedächtnis“ haben und vorherige Trends umkehren. Studien zeigen, dass die Mean Reversion in den Wachstumsraten zudem besonders hoch ist, desto extremer das Umsatzwachstum ist. Margen unterliegen dabei, genauso wie Wachstumsraten, langfristig dem Prinzip der Mean Reversion. Das bedeutet, dass Wachstums- und Bewertungsausreißer in der Regel nicht nachhaltig sind, sondern dass generell eine ständige Rückkehr zum Mittel zu beobachten ist. Somit sind die teils fantastischen Performancezahlen mancher Growth-Titel nur temporär, aber eben nicht nachhaltig. Damit sind Korrekturrisiken überdurchschnittlich hoch und heftig.

Stärke des Value Investing ist die rationale Wertorientierung

Das belegen die Zahlen. Lediglich 2 % der Unternehmen sind zwischen 2005 und 2020 hinweg durchschnittlich mehr als 20 % gewachsen. Auch die langfristige Rückkehr zum Mittel ist erwiesen: Der eindeutige Großteil liegt bei null bis 5 % über den 15-Jahres-Zeitraum hinweg. Es zeigt sich auch, dass Extremergebnisse fast ausschließlich über kürzere Zeiträume auftreten und die Wertentwicklung nach einem Jahr meistens rückläufig ist.

Die Stärke des Value Investing ist die rationale Wertorientierung, die durch die Kontrolle menschlicher Emotionen Verhaltensfehler wie den Herdentrieb beim Growth Investing vermeidet. Für diese Investoren bieten die Über- und Untertreibungen des Marktes regelmäßig Einstiegschancen für werthaltige Investments. Dafür ist es von höchster Bedeutung, sich mit seinen Investments nicht wohl- oder trendy fühlen zu wollen, sondern die innere Stärke zu haben, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Wenn sie diese Erkenntnisse beherzigen und nach jenen Leitsätzen handeln, können sich Value-Investoren aktuell an einem historisch wohl einzigartig aussichtsreichen Punkt für eine hohe Value-Prämie positionieren und nach Grundsätzen handeln, die sich statistisch bewährt haben.

Gastbeitrag von Dyrk Vieten, Chief Executive Officer von Lingohr & Partner, unabhängiger Asset Manager, Spezialist für konsequentes Value Investing