„Wir brauchen mehr Fokus auf die guten Seiten der bAV“

07.05.2000

Chefredakteur Alexander Heftrich mit Cordula Vis-Paulus und Gunter Schäfer / Foto: © Sabrina Henkel

Exklusiv

Altersvorsorge ist ein weites Feld. Insbesondere die Säule der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) steht nicht immer im Rampenlicht. Das muss sich ändern. Was es zu tun gilt, inwiefern Frauen besonders tangiert sind und wie das mit dem Thema nachhaltigen Investieren zusammenhängt, dazu sprach die Chefredaktion exklusiv mit der bAV-Expertin Cordula Vis-Paulus und Gunter Schäfer Chief Sales/Communications/Marketing Officer von der Schweizer Investmentboutique Arete Ethik Invest AG.

finanzwelt: Frau Vis-Paulus, über das Thema Altersvorsorge wird viel diskutiert. Sehr oft besteht Einigkeit dahingehend, dass jeder Beschäftigte vorsorgen muss. Die Einsicht ist da, allein es bleibt manchmal bei der Theorie. Inwiefern trifft das auch für den Bereich der betrieblichen Altersvorsorge zu?

Cordula Vis-Paulus: Genau betrachtet bieten nur 35 % der Unternehmen der privaten Wirtschaft bAV an. Je kleiner die Unternehmen, desto weniger bAV! Die Nutzungsquote spiegelt das Arbeitgeberengagement: Je weniger Zuschuss, je weniger Kommunikation, desto weniger – sprich: um die 10 % – bAV-Nutzer finden sich in der Belegschaft. Mit steigender Arbeitgeberbeteiligung in Euros und zielgruppengerechter Kommunikation erfährt das bAV-Angebot seitens der Mitarbeiter mit bis zu 100 % Nutzungsquote die gewünschte hohe Akzeptanz.

finanzwelt: Ich höre immer, das Thema bAV sei komplex, mitunter intransparent etc. – stimmt das so?

Vis-Paulus: Ja, davon ist vieles hausgemacht. Aber wir haben heute schon sehr gute digitale Unterstützung, sehr gute Beratungs- und Vergleichsprogramme, so dass neue bAV-Konzepte schlank eingerichtet und dem Mitarbeiter sehr verständlich aufbereitet werden können. Trotzdem ist da noch viel Luft nach oben.

finanzwelt: …heißt konkret?

Vis-Paulus: Eine großartige Idee erstickt an ihrer zum Teil selbstgestrickten Komplexität. Wir brauchen mehr Fokus auf die guten Seiten der bAV und weniger Angst- und Schlechtmacherei durch falsche Publikums-Presse und scheinheilige (F-)Influencer! Die Entscheider in den KMU müssen den Wert erkennen, den ihre Rentenlösungen bewirken. Weniger Geldsorgen und Kopfschmerzen, mehr Zuversicht und Sicherheit.

finanzwelt: Können Sie das kurz darlegen?

Vis-Paulus: Sehr gerne. Der häufigste Grund für das Fehlen einer bAV liegt darin, dass ein entsprechendes Angebot des Arbeitgebers ausbleibt. Der Arbeitgeber muss ein solches zwar auf Nachfrage des Arbeitnehmers vorlegen, aber eben nicht proaktiv unterbreiten. Ich verweise hier auf den existierenden Rechtsanspruch. Doch auch diese Medaille hat zwei Seiten. Viele Arbeitgeber wissen nicht, dass die bAV ein hervorragendes Instrument zur Mitarbeiterbindung sein kann. Die bAV ist aus Mitarbeitersicht der wichtigste Benefit! Sie nicht anzubieten ist leicht verschenktes Terrain im Run auf gute Kräfte!

finanzwelt: Speziell in Zeiten des Fachkräftemangels und hoher Wechselbereitschaft der Arbeitnehmer ein gutes Argument…

Vis-Paulus: Absolut. Die bAV ist ein attraktives Mitarbeiter-Benefit zur Talentgewinnung und -bindung, was letztlich auch dem langfristigen Unternehmenserfolg zugutekommt. Hier ist viel Potenzial, das es gemeinsam zu heben gilt. Zufriedene Mitarbeiter, die auch beim Thema Altersvorsorge gut abgeholt werden, haben weniger Sorgen, was sich positiv für das Unternehmen auswirkt!

finanzwelt: Um die allgemeinen Bemerkungen abzuschließen – könnten Impulse vom auf Eis liegenden Betriebsrentenstärkungsgesetz 2.0 und/oder der neuen Regierung kommen?

Vis-Paulus: Es braucht ein starkes Bekenntnis zur bAV, keinen kleinsten gemeinsamen Nenner! Ein betrieblich gestaltetes Opt-out hätte den handfesten Vorteil, dass alle Beschäftigten zur bAV angemeldet werden. Durch die betriebsindividuelle Gestaltung würden engagierte Arbeitgeber sich weiterhin von anderen abheben können. Wer nicht widerspricht, wird versorgt.

finanzwelt: Wir wollen den Bogen etwas spannen. Frauen und Altersvorsorge. Ein vielschichtiges Thema mit viel Nachholpotenzial.

Vis-Paulus: Frauen gehorchen noch zu oft den vorherrschenden Stereotypen – zum Beispiel, das Verlassen bei der Altersvorsorge auf ihre Männer, was im Trennungsfall von Normalbürgern für keine/n der beiden im Reichtum endet. Leider verkümmert im toten Winkel zwischen Wickeltisch und Schreibtisch das Bewusstsein, dass durch Teilzeitarbeit Rentenansprüche verloren gehen und deshalb höhere Einzahlungen in die Altersvorsorge notwendig sind. Nur 26 % der Frauen nutzen die bAV – dabei könnte die ein wichtiger Teil der Lösung sein! Frauen, die aktiv für sich werden, setzen oft andere Prioritäten als Männer: Wertbeständiges und Sinnstiftendes geht vor Überrendite. Statt auf Rendite für Risiko zu setzen, entscheiden sie sich für mehr Stabilität und weniger Volatilität. Langfristige Entscheidungen müssen sich ggf. verändernden Lebensbedingungen anpassen. Ich beobachte, dass bei einem proaktiven Angebot von nachhaltigen Investments, Frauen sehr offen dafür sind.

Gunter Schäfer: Frauen verdienen nach wie vor im Schnitt weniger, unter­brechen oft ihre Berufs­tätig­keit, um Kinder aufzuziehen und/oder Pflegebedürftige zu versorgen, arbeiten häufig in Teil­zeit und haben weniger Einkommen und somit weniger Vermögen zur Verfügung. All das führt dazu, dass sie durchschnittlich weniger Geld haben als Männer. Natürlich gibt es 2025 viele aufgeklärte, bestens informierte Frauen, die ihre finanziellen Geschicke selbst regeln. Aber eben nicht die Mehrheit. Das gilt es, gebetsmühlenartig darzulegen, ohne aber belehrend zu wirken. Die Art der Ansprache, Emotionen etc. spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Unter dem Strich ist es wichtig, das Einkommen des Hauptverdieners im Sinne einer fairen Aufgabenverteilung als Familieneinkommen zu betrachten und entsprechend auch einzusetzen. Dazu gehört auch die Anfütterung einer betrieblichen- oder privaten Rente.

finanzwelt: Das hat dann auch etwas mit der Geschlechtergleichstellung (SDG 5) zu tun…

Schäfer: Absolut: Die Gleichstellung der Geschlechter ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern unabdingbar, um die drängendsten Herausforderungen unserer Zeit, z. B. soziale Ungerechtigkeit und den Klimawandel zu meistern.

finanzwelt: Ein weites Feld… Frauen sind in den Führungsetagen großer deutscher Konzerne so gut vertreten wie nie zuvor, wurde unlängst berichtet.

Schäfer: Ja, und das zeigt doch, dass ‚Lauter werden‘ und auch politischer Druck durchaus etwas in die richtige Richtung bewirken können. Ziel des Führungspositionengesetzes war es, den Frauenanteil in Führungspositionen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor deutlich zu steigern. 

finanzwelt: Welche Rolle spielt das Thema „Frau“ in den Analysen bei Arete Ethik Invest?

Schäfer: Das Thema Frauenquote, heutzutage eher Diversität bzw. Parität, ist ein bedeutendes Kriterium im Analyseprozess der Portfoliounternehmen. Und wir bei Arete Ethik Invest schauen genauer hin, sozusagen unter die Karosserie. Das heißt, wie paritätisch sind beispielsweise der Aufsichtsrat und Vorstand besetzt? Finden sich genügend weibliche Kräfte in Führungspositionen und direkt unterhalb des Managements? Die nackte Zahl, dass es einen hohen Frauenanteil gibt, sagt ja beileibe noch nichts aus, wo diese im Organigramm zu finden sind… darüber befindet letztlich unser Ethik-Komitee und sagt den Portfoliomanagern, in welche Unternehmen bzw. Staaten sie investieren dürfen. Begleitend fließen auch Faktoren wie Homeoffice-Regelungen, Kita-Betreuung, Familienfreundlichkeit und Arbeitszeitflexibilität mit in den Entscheidungsprozess ein.

finanzwelt: Also kann man daraus doch klar ableiten, dass Frauen bei der Wahl der Fonds für ihre Altersversorgung unbedingt darauf achten sollten, dass die von ihnen gewünschten Frauenrechte auch in den Investments eingehalten werden?

Schäfer: Genau das ist es: Wenn Frauen die Rentenlücke über bAV und Private Rentenversicherung schließen, dann ist es doch widersprüchlich, wenn diese Finanzprodukte dann über die Aktien in Zielunternehmen investieren, in denen Frauenrechte und generell soziale, ethische und auch ökologische Aspekte auf der Strecke bleiben. Wer A sagt, muss auch B sagen. Das ist konsequent.

finanzwelt: Ich komme nochmal auf den „Gender Pension Gap“ zurück, Frau Vis-Paulus. Sie veranstalten in Kürze zum dritten Mal das „German Equal Pension Symposium“. Worum geht es genau?

Vis-Paulus: Wir wollen für die geschlechtsspezifische Rentenlücke sensibilisieren und Lösungen aufzeigen! Mutterschaft ist die größte Gefahr für die Rente! Aber das darf doch nicht sein! Es gibt Lösungen, aber sie werden nicht genutzt. Wir wollen das ändern! Wir setzen auf ein interaktives, interdisziplinäres Format: Kunden, Berater, Versicherer, Verbände und Politiker tauschen sich zu Bedarfen und Hindernisse aus erster Hand aus, damit Beratung und Lösungen – im privaten und betrieblichen Kontext umgesetzt werden! Das Ziel muss sein, rechtzeitig die Weichen für eine tragfähige finanzielle Vorsorge zu stellen.

finanzwelt: Sie sprachen gerade die Art der Wissensvermittlung an. Herr Schäfer, Sie sind dem Thema „Nachhaltiges Investieren“ seit zwei Jahrzehnten verbunden. Das ist auch eine Marathon-Disziplin. Insofern sitzen Sie in einem Boot?

Schäfer: Absolut. Investieren ist nie ein Sprint, immer ein Marathon. Und Investment- oder Versicherungsethik lässt sich auch nicht per Dekret verordnen, sondern muss langfristig gelebt werden, um Erfolge zu zeitigen. ‚Alles hängt mit allem zusammen‘, fällt mir spontan ein. Die Natur ist ein zusammenhängendes Ganzes, wenn sich ein Teil davon verändert, dann verändern sich auch der Rest. Armut und insbesondere Altersarmut zu verhindern, ist ein wichtiges Nachhaltigkeitsziel. Wir dürfen nicht in Schubladen denken, sondern müssen das große Ganze im Blick haben: von der Geburt der nachkommenden Generation, bis hin zur Rente im hohen Alter. Ein Rädchen greift ins andere. Da setzt mehrwertstiftende, praxisorientierte Wissensvermittlung an. So lässt sich auch der bAV mehr Schubkraft verleihen.

finanzwelt: Nachhaltigkeit und bAV – wie schaut es praktisch exemplarisch aus?

Schäfer: Immer mehr Unternehmen wissen auch als Arbeitgeber um den Stellenwert ihrer sozialen Verantwortung. Eine Betriebsrente, die Nachhaltigkeitsmerkmale integriert, zahlt zum einen positiv auf diese ein und braucht zum anderen den Vergleich mit konventionellen Fondslösungen nicht zu scheuen. Ich verweise beispielhaft auf die GrüneRente der Stuttgarter. Mit solchen Lösungen kann man die Betriebsrenten ökologisieren, was hervorragend in die Zeit passt. (ah)