Verlust der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“

11.11.2025

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Im Urteil vom 11. Juli 2025 (Az. 20 U 163/23) entschied das Oberlandesgericht Köln unter welchen Voraussetzungen in der Grundfähigkeitsversicherung der Verlust der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ vorliegt und dass eine Grundfähigkeitsrente im Insolvenzverfahren pfändbar sein kann.

Der Versicherungsnehmer begehrte Leistungen aus einer Grundfähigkeitsversicherung. Nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen liegt der Verlust der Fähigkeit „Knien/Bücken“ vor, wenn die versicherte Person sich nicht mehr aus eigener Kraft hinknien kann, mit den Fingern den Boden berühren und sich anschließend wieder aufrichten kann.

Der Versicherungsnehmer stellte bereits im Februar 2019 einen Leistungsantrag, welchen der Versicherer nach eigener Leistungsprüfung im September ablehnte. Streitig blieb, ob die Grundfähigkeit ,,Knien/Bücken“ bereits ab Januar 2019 bedingungsgemäß verloren war und ob aus dem Versicherungsvertrag eine laufende Grundfähigkeitsrente zu zahlen ist.

Das Landgericht Köln gab dem Versicherungsnehmer mit Urteil vom 26. Mai 2023 im Wesentlichen Recht (Az. 26 O 553/20). Der Versicherer legte gegen das Urteil jedoch Berufung ein. Im Berufungsverfahren berief sich der Versicherer insbesondere auf ein vorgerichtlich eingeholtes Privatgutachten und leitete daraus Widersprüche zwischen Beschwerdeschilderung und objektiven Befunden ab. Mit einem Sachverständigengutachten, das detailreiche orthopädische Befunde dokumentierte, trat der Versicherungsnehmer anschließend entgegen.

Während des Berufungsverfahrens wurde über das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers eröffnet. Der Insolvenzverwalter berief sich auf eine Unterbrechung des Prozesses und machte geltend, die Ansprüche aus der Grundfähigkeitsversicherung fielen in die Insolvenzmasse. Der Versicherungsnehmer widersprach dem und machte geltend, dass die Grundfähigkeitsrente unpfändbar sei.

Grundfähigkeitsrente pfändbar?

Während des Berufungsverfahrens wurde über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter berief sich auf eine Unterbrechung des Prozesses und machte geltend, dass die Ansprüche aus der Grundfähigkeitsversicherung in die Insolvenzmasse fielen. Der Versicherungsnehmer widersprach dem und verwies auf die Unpfändbarkeit der Grundfähigkeitsrente.

Das Oberlandesgericht Köln stellte klar: Eine Unterbrechung kommt nicht in Betracht, weil die Grundfähigkeitsrente grundsätzlich unpfändbar ist.

Eine (Teil-)Pfändbarkeit kommt erst nach ausdrücklichem Antrag und einer Billigkeitsprüfung in Betracht, wie es die BGH-Rechtsprechung zur Massezugehörigkeit und bedingten Pfändbarkeit von Renten seit langem vorgibt (Urteile vom 3. Dezember 2009 – IX ZR 189/08, 15. Juli 2010 – IX ZR 132/09, 3. Juli 2023 – VIa ZR 155/23 und 16. Januar 2025 – IX ZR 91/24).

Entscheidend war, dass es sich um eine Rente zur Absicherung von Gesundheitsschäden handelt und damit ein existenzsichernder Charakter vorliegt. Ohne einen Antrag vom Insolvenzverwalter auf Pfändbarkeitserklärung verbleibt der Anspruch außerhalb der Masse.

Kernpunkt der Entscheidung des OLG Köln war die Auslegung der Versicherungsbedingungen in der Grundfähigkeitsversicherung, konkret um die Formulierung ,,aus eigener Kraft“ beim Verlust der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“. Das Oberlandesgericht Köln kam zu dem Ergebnis, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer darunter die Fähigkeit versteht, ohne Hilfsmittel oder fremde Unterstützung auszukommen. Demnach sei maßgeblich, ob sich die versicherte Person allein durch ihre eigene Körperkraft aus einer Bück- oder Kniesituation wieder aufrichten könne. Ein Rückgriff auf Hilfsmittel, wie etwa Stützen oder Möbelstücke, oder die Hilfe anderer Personen, bleibt dabei außer Acht. Ausschlaggebend ist die Eigenkraft des Versicherungsnehmers.

Das Sachverständigengutachten bestätigte, dass es dem Versicherungsnehmer nicht möglich war, sich aus eigener Kraft wieder aufzurichten. Damit war der Verlust der Grundfähigkeit „Knien/Bücken“ nach Ansicht des OLG Köln gegeben. Die Berufung des Versicherers blieb daher ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht Köln bestätigte die Entscheidung des Landgerichts Köln und stellte klar, dass der Versicherungsnehmer Anspruch auf die vereinbarte Grundfähigkeitsrente hat. Die Klausel sei eindeutig. ,,Aus eigener Kraft“ bedeute ohne Hilfsmittel und ohne fremde Unterstützung.

Die Entscheidung macht deutlich, wie wichtig eine präzise Auslegung der Versicherungsbedingungen in der Grundfähigkeitsversicherung ist.

Für Versicherungsnehmer bedeutet das Folgendes:  Zunächst muss der Verlust einer Grundfähigkeit klar und nachvollziehbar belegt werden. Es genügt nicht, Bewegungen mit Hilfe oder Hilfsmitteln auszuführen – entscheidend ist die Eigenkraft des Versicherungsnehmers. Schließlich verdeutlicht die Entscheidung, dass die Grundfähigkeitsrente im Insolvenzfall einen besonders starken Pfändungsschutz bietet und damit die Existenzsicherung des Versicherungsnehmers nachhaltig stärkt.Sollte ein Versicherer die Zahlung einer Grundfähigkeitsrente oder anderer Invaliditätsleistungen ablehnen, ist es meist von Vorteil, einen auf Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu kontaktieren.

Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

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