Auch Führungskräfte können ausbrennen

06.11.2025

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Führungskräfte müssen stets Hoffnung und Zuversicht ausstrahlen. Sie dürfen zudem nie Schwäche zeigen. Mit diesem Anspruch sehen sich die meisten Führungskräfte konfrontiert; doch leider fällt es vielen immer schwerer, diesem gerecht zu werden.

„Eigentlich habe ich keinen Bock mehr. Ich sehne nur noch meinen Ruhestand herbei“ oder „… Ich würde am liebsten etwas ganz anderes tun.“ Solche Aussagen hört man seit einiger Zeit vermehrt von Führungskräften auch auf der Top-Ebene von Unternehmen, wenn man mit ihnen privat spricht (oder sich aufgrund der jahrelangen Beratertätigkeit für sie eine Vertrauensbeziehung zu ihnen entwickelt hat).

Führungskräfte wissen, was von ihnen erwartet wird...

Im Kollegenkreis würden die betreffenden Führungskräfte solche Aussagen nie tätigen, da sie als Abteilungs- oder Bereichsleiter, Geschäftsführer oder gar Vorstand genau wissen, was von ihnen erwartet wird:

  • Sie wissen, dass sie als Führungskraft – ganz gleich als wie schlecht oder perspektivlos sie selbst die aktuelle Situation gerade empfinden – stets Zuversicht und Hoffnung ausstrahlen müssen.
  • Sie wissen, dass sie – selbst, wenn sie keine Lust auf Veränderung mehr haben – nicht nur stets Veränderungs- und Lernbereitschaft zeigen müssen, sondern hierfür für ihr Umfeld sogar ein Vorbild sein müssen.

Und dies unabhängig davon, wie leer und ausgebrannt sie sich selbst gerade fühlen. Also gerieren sie sich auch so, selbst wenn sie ihr eigenes Verhalten selbst nur noch als Schmierentheater empfinden und vereinzelt innerlich sogar schon gekündigt haben.

… und sie verhalten sich entsprechend

Eine normale Redaktion auf dieses Befinden wäre, sich eine Auszeit zu nehmen, um die Akkus wieder aufzuladen. Diese gönnen sich aber gerade Führungskräfte auf der oberen Ebene meist nicht, denn von ihnen erwartet man, dass sie nie Schwäche zeigen und stets Tatkraft und Energie ausstrahlen. Zudem haben sie oft die Maxime „No pain, no gain“ verinnerlicht – also, dass beruflicher Erfolg stets mit Anstrengung und Schmerz verbunden ist. Deshalb agieren sie auch in schwachen Momenten nach der Maxime „Augen zu und durch“.

Ebenfalls eine mögliche Reaktion wäre, zu entscheiden „Ich kündige hier und jetzt und mache etwas ganz anderes.“ Doch auch das tun gerade Top-Manager eher selten – aus den unterschiedlichsten Gründen:

  • mal aus Verantwortungsgefühl gegenüber ihrer Organisation,
  • mal, weil sie (aus ihrer Warte) für die Zeit danach noch nicht ausreichend finanziell vorgesorgt haben,
  • mal, weil sie ohne einen „goldenen Handschlag“ nicht gehen möchten,
  • mal, weil sie befürchten, ohne die dann wegbrechende Tagesstruktur und das fehlende Gebraucht-werden, würden sie in ein tiefes emotionales Loch fallen,
  • mal, weil sie den Titel „Head of …“ oder „Chief of …“ zum Bewahren ihrer Identität brauchen,
  • mal ….

Tabuthema: Sinkende Motivation und Identifikation von Führungskräften

Fakt ist auf alle Fälle: Während über das Phänomen innere Kündigung und mangelnde Veränderungsbereitschaft auf der Mitarbeiterebene oft gesprochen wird, wird dieses bezogen auf die Führungsebene von Unternehmen eigentlich nie thematisiert, obwohl es dort – aus meiner Warte – inzwischen fast ebenso verbreitet wie auf der Mitarbeiterebene ist.

Teilweise aus nachvollziehbaren Gründen: So sind die Führungskräfte in vielen Unternehmen als Verantwortliche für ihren Bereich nicht nur zurzeit extrem gefordert, sie sind dies seit Jahren. Zudem wurden in den zurückliegenden Jahren in nicht wenigen Betrieben die Führungskräfteentwicklungsprogramme weitgehend auf Eis gelegt, weshalb viele Führungskräfte nicht wissen, was das Wahrnehmen ihrer Funktion in der aktuellen, von einem fundamentalen Wandel geprägten Situation von ihnen erfordert. Zudem hat sich in nicht wenigen Unternehmen eine Kultur entwickelt, bei der jeder – hierarchie- und funktionsübergreifend – primär ums eigene Überleben kämpft, auch wenn verbal immer wieder verkündet wird „Wir sind ein Team“.

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