Der Finanzvertrieb steht vor einem Systemwechsel
15.12.2025

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2026 wird kein weiteres Digitalisierungsjahr. In den Monaten, die vor uns liegen, wird sich die Struktur des Finanzvertriebs neu sortieren. Lange hat die Branche versucht, Digitalisierung und traditionelle Arbeitsweisen parallel zu betreiben. Dieses Modell trägt nicht mehr. Die Kombination aus Regulatorik, Kostendruck und veränderten Anlegerstrukturen erzwingt einen Systemwechsel. Die Strukturen sind oftmals nur noch von der positiven Zins- und Aktienmarktentwicklung getragen. Beim nächsten Crash und den dann ausbleibenden Erträgen werden diese Modelle mit massiv sinkenden Margen bestraft. Die Zeiten der Klein-Klein-Anpassung sind vorbei. Über der Branche hängt schon längst das Damoklesschwert.
Regulierung als ökonomischer Taktgeber
Die EU-Retail-Investment-Strategy und die Reform der SFDR schaffen eine klare Realität: Prozesse müssen nicht nur formal richtig, sondern operativ belastbar sein. Geeignetheit, Nachhaltigkeitsklassifizierung und Kostentransparenz werden nicht mehr im Nachgang dokumentiert, sondern laufend überprüft. Fehler sind keine unglücklichen Einzelfälle mehr, sondern systemische Defizite. Und sie haben entsprechende Folgen. Gleichzeitig zeigt sich, dass das von der BaFin immer wieder betonte Versprechen der Proportionalität in der Aufsichtspraxis weit weniger greift als viele Marktteilnehmer gehofft hatten: Kleine und mittlere Häuser werden faktisch wie Großinstitute behandelt. Risikomanagement, Revision, DORA und MiCAR lassen grüßen. Damit ist ein Grundprinzip überholt: Der einzelne Berater ist nicht mehr der zentrale Risikoträger. Die Verantwortung liegt in den Systemen, die er nutzt. Wer 2026 ohne automatisierte Prüfprozesse, klar definierte Modellportfolios und verlässliche Governance arbeitet, produziert Haftung nicht Leistung.
Banken: Beratungsindividualität wird durch Prozess-KI ersetzt
Die Industrialisierung der Bankberatung ist abgeschlossen. Wir haben einen Endzustand erreicht. Die ökonomische Logik ist eindeutig: hohe Fixkosten, niedrige Margen und steigende Regulierung führen zu Standardisierung und damit letztlich zur McDonaldisierung des Finanzvertriebs. Operativ bedeutet das: Prozess-KI ersetzt in weiten Teilen die bisherige Beratungsindividualität. Individuelle Beratungsfreiheit gibt es nur noch im gehobenen Vermögenssegment, dem Wealth Management. Für alle anderen Kundengruppen gelten zentrale Portfoliostrukturen, algorithmische Entscheidungslogiken und KI-gestützte Geeignetheitsprüfungen. Die Wettbewerbsdynamik verschiebt sich damit vollständig. Banken konkurrieren nicht mehr über Beratungsqualität im persönlichen Gespräch, sondern über Prozessgeschwindigkeit, Datenqualität und Plattformarchitektur.
Private Vermögensverwalter: Es gibt nur noch zwei tragfähige Modelle
Der Markt der unabhängigen Vermögensverwalter teilt sich 2026 klar auf. Auf der einen Seite stehen Anbieter, die Infrastruktur skalieren: digitale Mandatsführung, automatisierte Compliance, standardisierte Strategien. Auf der anderen Seite stehen spezialisierte Anbieter mit klar abgegrenzten Zielgruppen. Beide Modelle funktionieren, weil sie sich ökonomisch rechtfertigen. Was nicht mehr funktioniert, ist der klassische Generalist mit individuellen Portfolios und manueller Prozesswelt. Die Regulierungskosten steigen schneller als das Ertragspotenzial. Die betriebswirtschaftliche Statik bricht weg. Wer sich nicht skaliert oder spezialisiert, verliert faktisch die Marktteilnahmefähigkeit.
Vermittler und Makler: Regulierung zwingt zu Plattformentscheidungen
Für unabhängige Vermittler ist die Entwicklung noch eindeutiger. Einzelbetriebe können die regulatorische Last nicht mehr allein tragen. Entscheidungsfreiheit entsteht nicht durch Unabhängigkeit, sondern durch den Zugang zu leistungsfähiger Infrastruktur. Haftungsdächer, digitale Vermögensverwaltungsstrecken, automatisierte Geeignetheitssysteme und White-Label-Portfolios sind keine Komfortelemente. Sie sind die Voraussetzung dafür, überhaupt wirtschaftlich beraten zu können. Der Markt bewegt sich damit in Richtung kooperativer Geschäftsmodelle. Die operative Wertschöpfung findet nicht mehr im Einzelunternehmen statt, sondern in Netzwerken und Plattformstrukturen.
Anlegerverhalten: Es geht nicht nur um demografische Segmentierung
Dass jüngere Anleger digitaler agieren, ist längst bekannt. 2026 ist diese Perspektive zu grob. Die Geldanlage fragmentiert nach Vermögensquellen und beruflichen Lebensrealitäten. Entscheidend sind Zielgruppen wie vermögensbildende Angestellte in dynamischen Branchen, Erben, digitale Selbstständige oder risikoaffine Selbstentscheider. Diese Gruppen unterscheiden sich deutlich in Informationsverhalten, Risikobereitschaft und Erwartungshaltung. Wer eine generalistische Zielgruppenansprache wählt, verliert bei diesen Anlegern an Wirkung. Vermögensverwalter und Vermittler brauchen 2026 eine klare Positionierung, sonst sind sie austauschbar. Ohne klares Alleinstellungsmerkmal und eine durchdachte SEO-Strategie (die mitdenkt, wie ChatGPT-gestützte Such- und Empfehlungsmechanismen funktionieren) hat ein Anbieter keine Relevanz mehr.
Konsequenz: Infrastruktur entscheidet über Relevanz
2026 wird das Jahr der Entscheider. Die Branche wird nicht mehr ausschließlich von neuen Technologien verändert, vielmehr von schlechten Managemententscheidungen in Sachen Infrastruktur und Marketing. Die Infrastruktur ist das Geschäftsmodell. Regulatorik und Kostendruck zwingen dazu, diese Infrastruktur konsequent zu professionalisieren und technologisch zu unterfüttern. Beratung bleibt wichtig, aber nicht als Ausgangspunkt, sondern als Teil einer strukturierten, digital gestützten Wertschöpfungskette. Wer diese Realität akzeptiert und in belastbare Systeme, klare Positionierung und skalierbare Prozesse investiert, stärkt seine Wettbewerbsfähigkeit. Wer sie ignoriert, verliert sie.
Ein Beitrag von Stefan Schmitt, Geschäftsführer, INNO INVEST GmbH

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