"Große Robustheit und Krisenresilienz"

23.01.2024

Symon H. Godl - Foto: Copyright DEUTSCHE FINANCE GROUP

In der Immobilienbranche bestimmt derzeit eher Vorsicht das Handeln. Die Zinswende hat einige Segmente arg getroffen. Doch Lichtblicke gibt es weiter. So wie Life-Science- und Technologie-Immobilien. Symon H. Godl, Chief Investment Officer der DEUTSCHE FINANCE GROUP, stand der finanzwelt-Redaktion zu einzelnen Aspekten Rede und Auskunft.

finanzwelt: Im Immobiliensegment gibt es viele etablierte Assetklassen. Neben Wohnen, Gewerbe (Büro) und Logistik tritt nun mit Life-Science- und Technologie-Immobilien eine neue Asset-Kategorie hinzu. Welche Gründe machen Sie hierfür aus?

Symon H. Godl: Das Life-Science-Segment verfügt über große Robustheit und Krisenresilienz und ermöglicht zudem zukunftsorientierte Immobilieninvestments. Der Sektor entwickelt sich sowohl als Wissenschaftsfeld als auch als wirtschaftliche Größe seit mehr als einem Jahrzehnt mit einer enormen Dynamik. Die hohe Nachfrage nach Forschungs- und Entwicklungsflächen, Diagnosezentren und Gesundheitseinrichtungen steht im direkten Zusammenhang mit den Megatrends der Gesundheitsvorsorge und der Digitalisierung in der Medizin sowie der steigenden Nachfrage für Erzeugnisse der Pharmaindustrie – in den vergangenen zwanzig Jahren haben sich die entsprechenden Ausgaben weltweit verdreifacht. Erfolgreiche Cluster wie Boston, Massachusetts – die Hochburg der Biotechnologie- und Pharmabranche – verdeutlichen, dass dieser Industriesektor zum stabilen Wirtschaftsmotor für ganze Regionen werden kann.

Trotz des allgemeinen Homeoffice-Trends zeigt der Sektor Life Sciences gegenüber herkömmlichen Büroflächen weiterhin eine hohe Mietauslastung, denn eine wichtige Eigenschaft in Bezug auf die Nutzung von Lab-Offices ist die Verfügbarkeit von hochmodernen Forschungseinrichtungen und Instrumenten, die für den jeweiligen Forschungs- und Entwicklungsprozess benötigt werden. Hinzu kommt die Anforderung an komplexe technische Anlagen wie leistungsfähige Filteranlagen, ausfallsichere Stromversorgung oder Lager für chemische Hilfsstoffe und Gase. Solche Immobilien sind auf die Anforderungen der Wissenschaftler zugeschnitten und damit einzigartig. Darüber hinaus erwirtschaften Lab-Offices im Vergleich zu klassischen Büroflächen eine höhere Performance. Damit sorgt die Beimischung von Lab-Offices in einem gestreuten Portfolio für eine insgesamt höhere Rendite bei größerer Diversifikation. Mögliche Käufer sind dabei institutionelle Investoren und Fondsgesellschaften mit langfristigem Fokus.

finanzwelt: Trends kommen oftmals von den Vereinigten Staaten nach Europa rüber. Das trifft wohl auch für „Science & Tech“ zu. Wie etabliert ist dort dieses Segment bereits?

Godl: Life Science Immobilien bzw. sogenannte Lab-Offices, ein Subsektor von Büroimmobilien sind in den USA beispielsweise seit langer Zeit etabliert und machen rund 4% des Gesamtbestandes aller Büroflächen aus. Life Science Immobilien sind in den USA typischerweise in sogenannten Clustern zu finden, also Regionen, in denen sich aufgrund der Standortfaktoren eine große Anzahl von Pharma- und Biotechunternehmen ansiedeln. Diese Standortfaktoren sind Zugang zu gut ausgebildetem Personal, also typischerweise renommierte Universitätsstandorte, die Präsenz qualitativ hochwertiger Gesundheitseinrichtungen sowie die Ansiedelung einer Vielzahl anderer Marktteilnehmer und Forschungseinrichtungen. Typische Cluster in den USA sind hier insbesondere Boston, San Francisco und San Diego. Die öffentliche Verwaltung an diesen Standorten ist darauf ausgerichtet, die jeweiligen Industrien bei ihrer Ansiedelung bzw. dem Geschäftsbetrieb zu unterstützen.

finanzwelt: Gibt es Erfahrungswerte, die Entwickler (und Investoren) diesbezüglich aus dem US-Markt mitnehmen können?

Godl: Trotz der modernen Möglichkeiten der digitalen Kommunikation gelten regionale Firmencluster weiterhin als zentraler Faktor für die Etablierung einer wettbewerbsfähigen Branche – vor allem in wissensgetriebenen Wirtschaftszweigen wie der Biotechnologie.

Die Gründe dafür sind heute dieselben wie in der Vergangenheit: Wenn sich aufstrebende Unternehmen eines Wirtschaftszweigs an einem Ort sammeln, profitiert davon das gesamte Netzwerk. So kann ein informeller Ideenaustausch stattfinden, der dem Standort als Ganzem nützt. Gleichzeitig entstehen wertvolle Wertschöpfungsketten in der Region.

Zudem entsteht ein attraktives Wohnumfeld für Fachkräfte, schließlich bieten sich ihnen vor Ort gleich mehrere Jobchancen. Letzteres wird gefördert, wenn in der Region gleichzeitig gute Ausbildungsstätten und Topuniversitäten beheimatet sind.

Dasselbe gilt für renommierte Einrichtungen der (Grundlagen-) Forschung, an denen gerade Nachwuchskräfte oft ihre ersten Arbeitsjahre verbringen. Akademikerinnen und Akademiker sind zwar in frühen Jahren meist sehr mobil, doch wenn sie eine Familie gründen, präferieren die meisten trotzdem einen festen Standort.

Eine größere regionale Konzentration kann nicht zuletzt auch in der Produktion Synergieeffekte hervorbringen. So können Vorprodukte beispielsweise gemeinsam – und dadurch preiswerter – beschafft werden und Produktionsstätten gemeinsam genutzt werden.

Gelingt es einem Standort, Hochschulen, Forschungseinrichtungen sowie große und kleine Unternehmen am selben Ort zu vereinen, kann ein Ökosystem entstehen, bei dem sich alle Beteiligten gegenseitig Vorteile verschaffen.

Damit ein Cluster erfolgreich sein kann, sind verschiedene Voraussetzungen notwendig – so zum Beispiel ein klarer technologischer Fokus, den es im besten Fall anderswo nicht gibt. Zu nennen ist auch ein förderliches Umfeld – etwa in Bezug auf die Infrastruktur vor Ort, die Unterstützung seitens der Politik oder den Zugang zu Kapital. Dieser Zusammenhang zeigt sich in Deutschland ebenfalls. Auch hier sind an den Universitätsstandorten, die im medizinischen beziehungsweise naturwissenschaftlichen Bereich stark sind, viele junge Biotechnologieunternehmen beheimatet.

finanzwelt: Die USA und Europa/Deutschland differieren fundamental. Von Ihrer Warte aus, an welchen Hebeln gilt es anzusetzen, um die mögliche Attraktivität dieser neuen Assetklasse stärker hervorzuheben? Welche politischen Impulse sind notwendig?

Godl: Die technologische Leistungsfähigkeit sowie die Innovationskraft und Förderung von Großprojekten, etwa in den Sektoren erneuerbare Energien – Solarparks, Batteriefertigung, E-Autoproduktion, Halbleiterfertigung – und Infrastruktur befeuert die besondere Stärke der US-Wirtschaft. Mit jährlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung von 700 Milliarden US-Dollar haben sich die USA zudem mittlerweile zu einem der innovativsten Plattformen für Start-Ups positioniert. Fast ein Drittel des weltweiten Risikokapitals, dass beispielsweise in die Biotech-Branche fließt, wird von Unternehmen investiert, die ihren Hauptsitz in den USA haben. Zudem verfügt das Land mit seinen geschätzt rund 330 Millionen Einwohnern über umfangreiche Energieressourcen und Rohstoffe sowie über eine gewaltige öffentliche und private Finanzkraft. Die USA gelten als sehr verlässlich, verfügen über stabile Rahmenbedingungen, einen leistungsfähigen Bildungssektor und eine effiziente Bürokratie, alles Faktoren, die die Entwicklung innovativer Industrien und damit auch der in diesem Zusammenhang wachsenden Immobiliensektoren wesentlich unterstützen. Wenn Deutschland im globalen Wettbewerb um attraktive Biotech-Standorte nicht zurückfallen will, muss es beispielsweise den Aufbau von Cluster und die passende Forschungsinfrastruktur vorantreiben.

In München beispielsweise profitiert das Cluster von der exzellenten Arbeit von TU und LMU, in Berlin-Brandenburg gilt das Gleiche für die Charité und die vielen kleineren Einrichtungen. Oft fungieren auch die großen Unternehmen der Biotechbranche als wichtige Impulsgeber für die Entwicklung neuer Cluster. In Mainz beispielsweise soll das rund um das – durch die Coronaimpfstoffe weltbekannt gewordene – Unternehmen Biontech entstandene Cluster künftig deutlich ausgeweitet werden.

Eine Auswertung der regionalen Verteilung der deutschen Biotech-Start-ups zeigt, dass es in Deutschland neben den Großstadt-Metropolregionen München und Berlin, die beide eine große Zahl von Top-Start-ups hervorgebracht haben, viele weitere Universitätsstädte mit Biotechnologie-Clustern gibt. So stammt laut Daten der Dealroom-Datenbank knapp jedes vierte Gesundheits-Start-up mit Biotechbezug aus München oder den umliegenden Landkreisen – und fast jedes fünfte aus Berlin und Brandenburg.

Betrachtet man die Subgruppe der 50 wertvollsten deutschen Biotech-Start-ups gesondert, dann ist es sogar mehr als jedes vierte beziehungsweise mehr als jedes fünfte. Im Falle Münchens beheimatet die Gemeinde Planegg vor den Toren der Stadt sogar mehr Top-Start-ups als die Stadt selbst. Der zentrale Ort ist der Campus Martiensried, der zur Ludwig-Maximilians-Universität München gehört.

finanzwelt: Inwiefern könnte Life-Science eine ähnliche Entwicklungsdynamik (auch in den Portfolios) einnehmen wie die Logistiksparte heutzutage?

Godl: Der Bedarf nach hochmodernen Labor-, Verwaltungs- und Büroflächen wird an Topstandorten wie Boston beziehungsweise in dynamischen Volkswirtschaften wie den USA weitgehend unabhängig von der Entwicklung der Gewerbeimmobilienmärkte auf Jahre weiter steigen. Lab-Offices erfahren damit im Bereich Immobilieninvestments ein zunehmendes Interesse von institutionellen Investoren und übernehmen mittlerweile eine herausragende Rolle beim Aufbau von einem zukunftsorientierten Anlageportfolios. (ah)