Nachhaltigkeit: Regulierungspflicht abhaken oder Vertriebschancen nutzen?

26.03.2021

Rafael Kurz, Chefredakteur und Pressesprecher Policen Direkt / Foto: © Policen Direkt

Manch einer kritisiert die aktuelle Verordnung deshalb als Kopfgeburt Brüsseler Bürokraten. Aber bereits Mitte 2022 soll die Finanzmarktrichtlinie so erweitert werden, dass Nachhaltigkeitswünsche verpflichtend in die Beratung aufgenommen werden müssen.

Es fehlt derzeit noch Transparenz, Produktklarheit und überhaupt eine Definition, was für die Versicherungsbranche das Thema Nachhaltigkeit bedeutet. Auch wenn sich der GDV Anfang des Jahres verpflichtet hat, bis 2025 deutlich nachhaltiger zu werden und bis 2050 alle Kapitalanlagen – derzeit sind das 1,7 Billionen Euro – nachhaltig anzulegen: Es ist derzeit noch nicht klar, welche Kriterien ein nachhaltiger Versicherer oder Versicherungsmakler erfüllen muss oder wann ein Versicherungsprodukt überhaupt als nachhaltig zählt.

Es gibt bereits Ratings, die Nachhaltigkeit von Geldanlagen bewerten. Hier haben Experten von Alliance Bernstein aber kürzlich kritisiert, dass es kein Rating gibt, das wirklich alle Anlageklassen und Märkte abdeckt. Größtes Manko sei aber, dass die Unternehmensdaten für die Ratings nicht standardisiert sind. Zuverlässige Ergebnisse und entsprechend auch die Bewertung seien, so der Befund, so noch nicht möglich. Auch die nichtfinanziellen CSR-Berichte mit Informationen zur Nachhaltigkeitsstrategie, die große Versicherer abgeben müssen, stoßen auf Kritik. Nicht alle Versicherer bemühen sich hier laut Untersuchung von Branchenexperte Carsten Zielke um die notwendige Transparenz.

Und dennoch wird es sich für Versicherungsmakler lohnen, das Thema aktiv zu verfolgen. Union Investment und LBBW-Research sind unabhängig voneinander zum Ergebnis gekommen, dass der Wandel der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit sich weiter fortsetzen wird. Nachhaltig agierende Unternehmen machen mehr Geschäft und nachhaltige Produkte sind ein Wettbewerbsvorteil, so die Prognose.

Für die Versicherungsbranche hat es Professor Matthias Beenken von der FH Dortmund auf den Punkt gebracht: die Zahl derer, die nach nachhaltigen Produkten verlangt, werde steigen. Er sieht hier eine Zielgruppe mit überdurchschnittlicher Bildung und überdurchschnittlichen finanziellen Mitteln. „Dieser Zielgruppe keine Antwort auf die Frage nach den Prinzipien der Kapitalanlage bei den empfohlenen Gesellschaften geben zu können, wäre fatal.“ Laut Assekurata-Umfrage wünscht sich bereits heute schon mehr als die Hälfte Beratung zur Nachhaltigkeit der Versicherungsgesellschaft.

Viele Makler sind dennoch verunsichert und wissen nicht, wie sie aktuell gesetzeskonform handeln. Sie wissen nicht, ob sie überhaupt zu Nachhaltigkeit informieren müssen.

Betroffen von der Offenlegungspflicht nach TVO sind derzeit Versicherungsvermittler,

  • die Versicherungsanlageprodukte verkaufen und
  • die mehr als 3 Mitarbeiter beschäftigen.

Versicherungsmakler müssen ab sofort darüber aufklären, ob über das Thema Nachhaltigkeit bei Produktempfehlungen und Anlageentscheidungen informiert wird und ob sie für Produkte mit nachhaltigen Anlagen anders vergütet werden.

WICHTIG: Das Inkrafttreten der TVO zum 10. März hat nicht zu einer aktiven Nachfragepflicht des Versicherungsvermittlers bezüglich der Nachhaltigkeitspräferenzen seiner Kunden geführt.

Auf der Website sollten Kunden die Information finden,

  • ob der Vermittler Nachhaltigkeitsrisiken in seine Beratung ein- oder ausschließt
  • ob er oder seine Beschäftigten besser oder schlechter vergütet werden, wenn sie Nachhaltigkeitsrisiken in die Beratung einschließen
  • und dass Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei den vorvertraglichen Informationen Sache des Produktgebers, also des Versicherers sind.

Vermittlerverbände wie der BVK und der BDVM haben hier konkrete Formulierungshilfen erarbeitet. So können Versicherungsmakler ihre Website entsprechend umgestalten.

ACHTUNG: Wer keine Website besitzt, muss offenbar die Offenlegungspflichten nach TVO nicht erfüllen. Es ist laut übereinstimmender Expertenansicht nicht notwendig, die Offenlegung dem Kunden schriftlich auszuhändigen.

Das nachhaltige Versicherungsangebot indes ist aktuell noch sehr überschaubar. Gerade im Sachversicherungsbereich steht die Entwicklung nachhaltiger Tarife noch ganz am Anfang. Hier sind grundsätzliche Fragen ebenfalls noch nicht geklärt. Ist eine Hausratversicherung beispielsweise bereits nachhaltig, wenn sie im Schadenfall der Reparatur den Vorzug vor der Neuanschaffung gibt? Oder sollte dann im Gegenteil die Anschaffung eines besonders energieeffizienten Neugerätes subventioniert werden? Wie sieht eine nachhaltige Kfz-Versicherung aus? Deckt die vielleicht nur E-Autos oder belohnt sie durch Telematik-Komponenten Wenigfahrer und Umsteiger auf die Öffentlichen Nahverkehrsmittel? Oder kann bei ganz fundamentaler Betrachtung ein Auto überhaupt nicht nachhaltig betrieben und damit auch nicht versichert werden? Anders sieht es bei (Versicherungs-)Anlageprodukten aus. Hier gibt es bereits eine Vielzahl an Angeboten, die Branchen-Initiative Nachhaltigkeit beispielsweise in der Lebensversicherung stellt hier kostenfrei eine Online-Übersicht zur Verfügung. Doch auch bei Vorsorgeprodukten gibt es aktuell offene Fragen: Vonseiten der Investmentgesellschaft Franklin Templeton kam jüngst der Einwand, dass Altersvorsorgeprodukte streng genommen noch nicht nachhaltig sein können, weil die Sicherungsvermögen der Lebensversicherer aktuell noch nicht ESG-konform sind.

Die für den Vertrieb entscheidende Frage stellt sich zum Schluss: Was macht also ein nachhaltiger Versicherungsmakler? Eine mögliche Antwort: Er verkauft nachhaltige Versicherungen, richtet sein Unternehmen nachhaltig aus, stellt Transparenz zum Markt her und gibt transparent darüber Auskunft. Auch wenn es bei den Produkten aktuell noch hakt, lohnt es sich, die Entwicklung aktiv zu beobachten. Die Dynamik im Markt ist groß. Das gilt auch für den Blick ins eigene Unternehmen inklusive der Punkte Soziales und Unternehmensführung aus dem ESG-Spektrum: im Kampf um die Talente der Zukunft mit Sicherheit kein Nachteil.

Gastbeitrag von Rafael Kurz, Chefredakteur und Pressesprecher von Policen Direkt